Bergisch Gladbach, Mai 2019. Marvin, 10, mag Fußball, Fahrradfahren und Trampolinspringen. In seinem Kinderzimmer hängen Fotos, die ihn im Kreis seiner Freunde und Erzieher zeigen. Marvin lebt im Bethanien Kinderdorf bei Bergisch Gladbach. Der Junge fühlt sich dort wohl, nur eine Sache beschäftigt ihn: „Ich habe keinen Erwachsenen, mit dem ich am Wochenende ins Stadion gehen könnte. Es wäre so cool, jemanden zu haben, der wie ich auch FC-Fan ist.“ Dieser „Jemand“ fehlt in Marvins Leben. Ein Wegbegleiter-Pate könnte die Antwort sein.
Vergessener Zahn
Marvin lebt seit vier Jahren in Bethanien. Er ist ein aufgeweckter Junge. An der Tür zu seinem Zimmer hängt ein Poster von Harry Potter, auf dem Fußboden neben dem Bett hat er eine Legostadt aufgebaut. Als die Reporter ihn besuchen, kommt er gerade vom Zahnarzt zurück. Dass ihm ein Zahn gezogen wurde, hat er schon fast wieder vergessen. „Wo ist meine Sporthose hin?“, fragt er seine Betreuerin. Wo wohl? „Im Schrank natürlich“, sagt Annika S. und schmunzelt.
Typisch Marvin. Nach dem Mittagessen will er so schnell wie möglich an die frische Luft. Links neben dem Eingang des Kinderdorfes liegt der große Fußballplatz. Markus Herrmanns vom Pädagogischen Fachdienst trainiert an diesem Nachmittag mit den Jungs für den „Kido-Cup“, ein Turnier der Kinderdörfer, das im Sommer ausgetragen wird.
Männliches Vorbild vonnöten
Marvin hat mit seiner Mutter meist nur telefonisch Kontakt. Den Vater kennt er nicht. Ihm fehlt eine männliche Bezugsperson. Genau wie in anderen pädagogischen Einrichtungen überwiegt auch im Bethanien Kinderdorf der Anteil der weiblichen Betreuer. „Es wäre wichtig, dass Marvin einen Mann als Vorbild hätte“, sagt Herrmanns. „Der zeigt, dass es für Männer normal ist, zu Hause mit anzupacken. Männer können genauso gut aufräumen, putzen und einkaufen“, erklärt der Betreuer. „Und kochen?“, fragt Marvin. Das gilt es herauszufinden.
Marvin gehört zu den Kindern, die vom „Kölner Kreidekreis“ betreut werden. Derzeit suchen einige Jungs wie er nach einem Wegbegleiter-Paten. Der Verein vermittelt seit 13 Jahren Patenschaften zwischen Heimkindern ohne Elternkontakt und erwachsenen Wegbegleitern.
1700 Heimkinder in der Region
Im Großraum Köln/Bonn leben etwa 1700 Kinder in Heimen. Ein Teil von ihnen hat keinen oder nur sporadisch Kontakt zur Herkunftsfamilie. Wenn andere am Wochenende abgeholt werden, bleiben sie allein zurück. „Manche haben nie erfahren, was verlässliche Zuwendung bedeutet“, sagt die Erste Vorsitzende des Vereins, Edeltraud Preuß.
Wie funktioniert eine Patenschaft? „Die Erwachsenen besuchen die Mädchen und Jungen in der Einrichtung, holen sie für Aktivitäten ab und nehmen sie mit zu sich nach Hause, um mit ihnen Alltag außerhalb der Jugendhilfe zu leben“, sagt Preuß. Auf diese Aufgabe bereitet der Verein sie umfangreich vor und begleitet sie währenddessen. Die Paten arbeiten ehrenamtlich, müssen den Kindern Respekt, Vertrauen und Wertschätzung entgegenbringen.
Bruchrechnung und FC
Marvin wechselt in diesem Sommer von der Grundschule auf die Nelson-Mandela-Gesamtschule. Ein großer Schritt in seinem Leben, der neue Herausforderungen mit sich bringt. Zum Beispiel, dass er in Mathe gut mitkommt. Ideal wäre vielleicht, wenn sein Pate sich nicht nur für den FC, sondern auch für Bruchrechnung und Geometrie interessieren würde.
(Autor: Gerhard Voogt. Foto: Michael Bause)