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SCHULE AUS – WAS NUN? VIELLEICHT EINEN INTERNATIONALEN FREIWILLIGENDIENST LEISTEN …

Interview mit Nils Dornseifer, der über die Friedensdienst-Organisation Eirene ein Jahr lang in den USA einen internationalen Freiwilligendienst leistete. Er sagt, er sei selbstständiger geworden und habe sehr viele neue Erfahrungen gemacht, die ihn sehr bereichern. Eine Idee für alle jungen Leute, die demnächst mit der Schule fertig sind und noch überlegen, was sie danach machen sollen.

Wie kamst du dazu, einen internationalen Freiwilligendienst zu leisten?

Ich bin nach dem Abitur per Interrail durch Frankreich, Italien und Spanien gereist und habe Verwandte in England besucht. Die Zeit im Ausland fand ich sehr cool. Außerdem hatte ich mir zuvor überlegt, ein freiwilliges soziales Jahr leisten zu wollen. Das Angebot von Eirene verknüpfte beides auf beste Weise!

Warum gerade diese Organisation?

Ich fand den gewaltfreien Ansatz dieses Internationalen Christlichen Friedensdienstes und das breite Länderangebot von zehn Ländern auf vier Kontinenten inspirierend. Außerdem wohne ich in Neuwied, wo Eirene die Geschäftsstelle hat. Da lag es nahe, sich das genauer anzuschauen.

Wo warst du letzten Endes und was hast du dort gemacht?

Ich war ein Jahr in den USA, in Little Rock in Arkansas, wo ich bei einem Sommercamp mitgeholfen habe. Dort gibt es auch einen Waldkindergarten und ein Conference-Center für Seminare oder andere Veranstaltungen von sozialen Gruppen. Außerdem betreibt das Camp ein Lagerhaus für die Katastrophenhilfe und eine Warenverteilanlage, bei der Retouren und sonstige Güter von Amazon, Walmart und anderen großen Ketten mit einem sehr hohen Rabatt von durchschnittlich 80 Prozent an Bedürftige verkauft werden.

Kannst Du einmal einen typischen Tagesablauf beschreiben?

Jeder Tag war anders. Dienstags habe ich zum Beispiel im Lagerhaus Pakete inspiziert und verpackt oder im Sharing-the-Goods-Teil die Kunden betreut. An anderen Tagen durfte ich ein bisschen Hausmeister spielen: aufräumen, den Rasen mähen, den Pool reinigen oder Gerätschaften reparieren. Außerdem habe ich viel mit Kindern gearbeitet. Es war super abwechslungsreich.

Nils mit Reinigungsroboter am Pool
Nils mit einem Reinigungsroboter am Pool

Welche Erfahrungen haben dich bereichert?

Ich habe sehr viel gelernt. Zum Beispiel hatte ich zu Hause früher kaum mit Werkzeug hantiert, musste im Camp aber das eine oder andere wieder instand setzen. Einmal bin ich mit dem Golf-Cart gefahren, hatte aber vergessen, den Stecker zu ziehen. Der riss also ab, und ich habe mir dann Werkzeug gesucht und das repariert. Diese Selbstwirksamkeit fand ich extrem cool.

Was hast du in deiner Freizeit gemacht?

Ich spiele gern Fußball, hab mir also einen Verein gesucht und bin beim Arkansas Wolves FC gelandet. Die Wölfe spielten in der vierten US-Liga, also semiprofessionell. In Deutschland hatte ich nur in der Kreisklasse gespielt, da war die vierte Liga in Amerika eine ganz andere Nummer: Es gab pro Spiel vier Schiedsrichter, die Kinder kamen nach dem Spiel zu mir und wollten Selfies oder Autogramme …

Gab es kulturelle Hindernisse zu überwinden?

Ich war in den Südstaaten, wo die Uhren anders ticken. Selbst in den Supermärkten trifft man immer wieder auf Leute, die mit Waffen herumlaufen. Das war schon gewöhnungsbedürftig. Aber die Menschen waren alle sehr freundlich und offen, den Austausch fand ich sehr bereichernd.

Gibt es bestimmte Projekte oder Aufgaben, bei denen du das Gefühl hattest, wirklich etwas zu bewirken?

Auf jeden Fall! Ich hatte schon an einigen Stellen den Eindruck, die Welt etwas besser machen zu können. Zum Beispiel fand ich die Arbeit im Lagerhaus sehr sinnstiftend.

Wie muss sich die vorstellen?

Es kommen Spenden herein, die als Hilfspakete zum Beispiel für Flüchtlinge oder für Flutkatastrophen gedacht sind. Wir haben die Ware inspiziert, verarbeitet und bei Katastrophen wieder herausgeholt und in das entsprechende Gebiet geliefert. Man sieht, dass man damit direkt helfen kann, und die Unterstützung wird auch wertgeschätzt. Diese Arbeit ist nachhaltig und macht Menschen glücklich – die Betroffenen, aber auch einen selber. Besser geht es eigentlich nicht.

Wie war die Rückkehr für dich?

Schon sehr schwierig. Das ganze Camp ist mir sehr ans Herz gewachsen, ich habe dort wirklich viele tolle Leute kennengelernt. Außerdem habe ich mir ja ein Leben mit bestimmten Routinen aufgebaut: Ich hatte einen sinnvollen Alltag und eine spannende Freizeit, ich habe sogar Kinder im Fußball trainiert, wie ich es zu Hause in Neuwied auch schon getan hatte. Dauerhaft wollte ich dort nicht leben, aber für ein Jahr war es eine perfekte runde Sache.

Wie hast du dich selbst verändert, was hat sich in dir verändert?

Ich denke, ich habe ein Stück weit zu mir selbst gefunden, bin reifer geworden und habe ein eigenes Wesen entwickelt. Zu Hause haben ja die Mitmenschen mit der Zeit ein Bild von einem, dem man dann auch irgendwie entsprechen will. In Little Rock konnte ich dagegen so sein, wie ich wollte. Ich bin heute viel selbstsicherer und selbstständiger. Und ich habe gemerkt: Man muss etwas tun, wenn man etwas erreichen will. Bei mir in der Familie, in Deutschland, war ja irgendwie alles bekannt und geregelt. Aber in den USA musste ich mich erst einmal einfinden und mein Leben selbst organisieren. Dass das gelungen ist, macht mich schon stolz.

Beim Singen von Camp-Liedern

Welche Erkenntnisse hast du noch mitgebracht?

Viel habe ich durch den Perspektivwechsel gelernt: In den USA können sich viele Menschen keine Krankenversicherung leisten und verzichten oft auf Arztbesuche. Auch das Fehlen von Arbeitsrechten auf deutschem Niveau hat mich schockiert. Im Vergleich zu den USA ist das soziale Sicherungsnetz in Deutschland stabiler. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie privilegiert wir sind, und mich gelehrt, die deutschen Sozialsysteme mehr zu schätzen und mich für ihren Erhalt und Ausbau einzusetzen. Auch persönlich habe ich viel gewonnen: Meine Grenzen haben sich verschoben, und ich traue mir jetzt mehr zu. Ich bin selbstbewusster geworden und habe neue Stärken in mir entdeckt.

Was würdest du jungen Menschen raten, die einen internationalen Freiwilligendienst anstreben?

Sie sollen sich im Internet auf der Website von Eirene die Auslandsfreiwilligendienste anschauen und Projekte suchen, die zu ihnen passen. Da gibt es ja ganz unterschiedliche Dinge, etwa die Arbeit mit Kindern, mit Obdachlosen oder auch Lobbyarbeit für die unterschiedlichsten Initiativen. Dann schaut man einfach, worauf man Lust hat und bewirbt sich.

Wie lief oder läuft der Bewerbungsprozess bei Eirene konkret ab?

Man muss sich bis Ende Mai 2025 bewerben, wenn man im selben Jahr noch einen Dienst antreten möchte. Ich habe mich zum Beispiel im September vor zwei Jahren beworben und im Oktober die Zusage für den Sommer danach erhalten. Zur Überbrückung habe ich dann gejobbt, um ein eigenes Budget anzusparen. In der Zwischenzeit gab es drei oder vier Online-Info-Seminare von Eirene; außerdem musste ich einen Unterstützerkreis gewinnen, um die Finanzierung von 4500 Euro in Form von Spenden auf die Beine zu stellen.

Was ist, wenn man niemanden findet, um das Spendenziel zu erreichen?

Das ist kein Problem. Einige Freiwillige erhalten weniger Spenden, andere mehr. Insgesamt gleicht sich das bei Eirene aus, so dass niemand aus finanziellen Gründen vom Dienst ausgeschlossen werden muss.

Wie wurdest du danach weiter auf deinen Einsatz vorbereitet?

Für die USA brauchte ich ein Visum. Um dieses musste ich mich in der Botschaft in Frankfurt bewerben und von den Kosten 100 Euro selbst tragen; den Rest hat Eirene übernommen. Im Mai gab es ein Vorbereitungswochenende und im Juli einen zweiwöchigen Kurs für alle Freiwilligen, die in dem Zeitraum Juli/August im globalen Norden einen Freiwilligendienst begonnen haben, das heißt in Europa, Kanada und den USA. Dort wurden zum Beispiel kulturelle und persönliche Themen besprochen.

Welche Kosten kommen auf jemanden zu, der so etwas anstrebt?

Bei Eirene wird eigentlich für alles gesorgt. Ich musste nur den Teilbetrag für das Visum selbst tragen, aber Versicherung, die Flüge, die Wohnung werden übernommen. Dazu gibt es eine Verpflegungspauschale und noch ein Taschengeld.

Eirene ist ja eine christliche Organisation. Musst du Christ sein, um solch ein freiwilliges Jahr absolvieren zu dürfen?

Nein, absolut nicht. Eirene ist offen für alle Religionen und Weltanschauungen.

Wie würdest du das Jahr für dich in drei Worte fassen?

Viele – neue – Erfahrungen! Natürlich kann nicht immer alles perfekt laufen, aber selbst, wenn irgendetwas nicht so gut ist, sind die Erfahrungen, die man macht, doch immer wertvoll!

Vielen Dank, lieber Nils, für deinen spannenden Bericht!

Mehr Informationen über den Auslandsfreiwilligendienst von Eirene findet Ihr hier: https://eirene.org/freiwilliger-werden