Am 7. Oktober fand unser dritter „Runder Tisch Careleaver“ statt. Wir hatten eine 25-jährige Careleaverin, einen Wegbegleiter-Paten unseres Vereins sowie mehrere Vertreter aus Wohngruppen, Jugendämtern, von Trägern und vom Paritätischen zu Gast in Königswinter. Unser Anliegen ist es, mit diesen jährlich stattfindenden Treffen einen Austausch über die Bedarfe von Careleavern anzuregen und Ansätze zu finden, die Careleavern das Leben leichter machen.
Zu Beginn zog Dr. Severine Thomas die Anwesenden per Zoom in ihren Bann. Sie forscht an der Universität Hildesheim zum Thema „Leaving Care“ und zu den Infrastrukturen im Hilfesystem. Thomas erinnerte an die Neuformulierung des § 41 SGB VIII, in dem der Rechtsanspruch auf Hilfen für junge Volljährige verbindlicher geregelt wurde. Unter anderem sei, daran anknüpfend, nun ein Recht auf Nachbetreuung (§ 41a SGB VIII) auch nach dem 18. Lebensjahr verankert, woraus eine Verpflichtung der öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe erwachse, diese (Nachbetreuung) zu ermöglichen und aktiv vorzuhalten. „Die Hilfe darf nicht mit 18 enden, denn die öffentliche Verantwortung für Careleaver endet nie“, mahnte Thomas, räumte zugleich aber ein, dass der aktuelle Fachkräftemangel weniger Zeit für konzeptionelles Arbeiten lasse.
Careleaver in vielen Lebensphasen benachteiligt
Die Wissenschaftlerin betonte, es müsse nicht nur der Übergang aus der Wohngruppe in einen eigenen Haushalt unterstützt werden. Vielmehr seien Careleaver in vielen Lebensphasen benachteiligt: „Den meisten fehlen eine existenzielle Absicherung und der familiäre Rückhalt, und auch gesundheitlich stehen Careleaver oft schlechter da als ihre Peergroup.“ Häufiger als andere würden sie als Mieter abgelehnt, und bei der Berufsfindung, einem etwaigen Abbruch einer Ausbildung, einem Jobwechsel und anderen alltäglichen Herausforderungen seien viel mehr Nachbetreuungsangebote nötig, „weil dies Careleaver allein einfach oft nicht schaffen können!“.
In den Kommunen fehlten zumeist noch verlässliche Strukturen – und das, obwohl es dafür nun seit 2021 eine gesetzliche Regelung gebe. Dabei gehe es durchaus auch um ideell-symbolische Unterstützung: „Nachbetreuung geht auch ohne Hilfeplanung“, unterstrich Thomas die Niedrigschwelligkeit der in § 41a neu geschaffenen Regelungen. „Hauptsache, Careleaver können sich überhaupt an jemanden wenden!“
Einige Kommunen gehen mit gutem Beispiel voran
Die Forscherin nannte einige Städte, die mit gutem Beispiel vorangehen. So habe man sich in Dortmund auf einen Träger geeinigt, der die Nachbetreuung für alle Careleaver übernehme. Die Stadt finanziere dieses Angebot mit einer festen Summe. Anderen Träger sei es nicht untersagt, ein ähnliches Angebot zu unterhalten; für eine Laufzeit von drei Jahren habe sich die Stadt aber nun entschieden, einen einzelnen Träger mit dieser Aufgabe zu beauftragen und finanziell auszustatten.
In der Region Hannover wurde stattdessen eine Leistungs- und Entgeltvereinbarung mit Trägern der Jugendhilfe auf den Weg gebracht. Diese ermöglicht es, Careleaver unbürokratisch mit bis zu neun Fachleistungsstunden nachzubetreuen. Sollte höherer Bedarf vorliegen, können in der gesamten Region mit sechs Jugendämtern weitere Hilfen in Anspruch genommen werden – ggf. auch eine erneute Hilfe für junge Volljährige.
Der – prinzipiell eindeutigen – gesetzlichen Pflichtaufgabe stünden natürlich die Kosten in den chronisch finanziell klammen Kommunen gegenüber, da gab sich Severine Thomas keinen Illusionen hin. Dennoch rief sie alle Anwesenden dazu auf, ihr Möglichstes zu tun und in der Fläche gute Nachbetreuungsangebote zu schaffen, sie zu bewerben und Careleaver darüber zu informieren: „Die jungen Menschen sollen sich nicht schämen, Unterstützung anzunehmen. Und wenn sie einmal vor einer verschlossenen Tür stehen, kommen sie nicht wieder.“
Die Etablierung wird spannend!

Im Anschluss bestätigte die 25-jährige Careleaverin Carina Mayer Thomas‘ Ausführungen. So sei die Suche nach einer eigenen Wohnung schwierig gewesen, weil sie keine Bürgschaft vorlegen konnte: „Das familiäre Umfeld fehlt einfach.“ Auch die Gehaltsnachweise hätten nicht geholfen. 73 Bewerbungen um eine Wohnung musste sie schreiben, ehe sie über „Vitamin B“ dann zum Zuge kam. „Aber auch bei der Krankenversicherung, beim Kindergeld, bei der Finanzierung des Studiums oder sonstigen Anträgen: Man ist fast immer allein mit der ganzen Bürokratie, die Anträge sind fürchterlich kompliziert.“ Um alles habe sie sich selbst kümmern müssen. Zum Glück sei sie bei einigen Sachen von einer Pädagogin aus ihrer früheren Wohngruppe unterstützt worden. „Das ist aber nicht der Regelfall“, betonte Carina.
An den Feiertagen will niemand allein sein
Aktuell ist die junge Sozialarbeiterin, die soeben ihren Bachelor abgeschlossen hat und in einem Familienhaus arbeitet, auf der Suche nach einer Patin im Kölner Kreidekreis: „Ich wünsche mir eine Person, die mich langfristig durchs Leben begleitet, die ich einfach so mal anrufen kann. Die meisten Careleaver haben so jemanden nicht. Insbesondere die Feiertage sind sehr einsam, weil die Freundinnen dann bei ihren Familien sind …“
Thomas Preuß (thomas Punkt preuss ät koelnerkreidekreis Punkt de)